Hallein - Der Deutschen liebstes Selbstbesinnungsstück erhält von den Salzburger Festspielen eine ebenso wunder- wie peinsame Verjüngungskur geschenkt. Auf der Perner-Insel, wo Regisseur Nicolas Stemann Goethes "Faust I & II" als jugendfrisches Textoratorium inszeniert, herrscht nach der Tragödie erstem Teil der Geist der Ernüchterung. Auf leergeräumter schwarzer Bühne (von Stemann und Thomas Dreißigacker) bemächtigen sich drei Schauspieler ganzer Text- und Szenenblöcke: Zuerst stürzt sich Sebastian Rudolph - er ist am ehesten "Faust" - mit der Verve eines Realschullehrers in Goethes wunderliches Flickwerk. Er ackert sich durch das Reclam-Heft, verkostet Zueignung und Vorspiel auf dem Theater wie mürbes Brot, um sich als farbklecksender Aktionskünstler in die Studierstuben-Szene zu stürzen.

Mephistos (Philipp Hochmair) Erscheinen gleicht einer gewaltsamen Übernahme: Fortan reißen die Schauspieler ganze Passagen wie Fleischfetzen aus dem alt-ehrwürdigen Stück heraus. Die Stimmung atmet den sportiven Geist eines Goethe-Athletikzentrums: Man traut dem Text des Weimarer Dichterfürsten zwar nicht über den Weg. Aber was soll man ohne die vielen schönen, zitierfähigen Verse auch anfangen? Drei wunderbare Schauspieler, voran Patrycia Ziolkowska als Gretchen, halten sich Goethes klassisches Textgebirge vom Leib. Etwas mehr Theater und weniger Kommentar aus der sicheren Deckung wäre schön! Insofern gibt es für Faust II noch viel Luft nach oben. (Ronald Pohl/DER STANDARD, Printausgabe, 29.7.2011)